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Servicewüste Deutschland?

Ich vergleiche die gern zitierte „Servicewüste Deutschland“ mit meinen Erfahrungen in asiatischen Hotels. Die Forderung: Luxus am Gast!


Vieles hat die Deutsche Barszene. Auch einen international immer höher angesehenen Ruf. Qualitäten wie Leistungswille, Technik- und Rezeptkenntnis, Experimentierfreude und gutes Basiswissen werden im Land geschätzt und international wahrgenommen. Doch eines hat sich Deutschland und dabei allen voran das schnoddrig-freche Berlin immer wieder sagen lassen müssen: Eine Servicewüste zu sein.

Viele Fähigkeiten sollte ein guter Barkeeper haben. Die einen können stark, die anderen weniger stark ausgeprägt sein. Eine darf dabei aber auf keinen Fall fehlen: Die Fähigkeit des Gastgebens! Diese Kunst zu verfeinern, muss ein Ziel der deutschen Barszene werden. Dieser Artikel soll Einblicke geben in die obersten Ränge der Gastgeber – den luxuriösesten Hotels.

Eigentlich ist guter Service leicht zusammen gefasst: Erfülle jedem Gast jeden einzelnen Wunsch bevor jener noch geäußert wird und gib’ ihm das Gefühl, Dein einziger Gast zu sein.

Was erwartet ein Gast, der teilweise eine lange Zeit reist, mit viel Geld und seiner spärlichen Zeit bezahlt, nur um in einem bestimmten Hotel zu übernachten? Er erwartet Ruhe, entspannende Unterhaltung (was von jedem unterschiedlich interpretiert wird), Sicherheit, Privatsphäre und den adäquaten Gegenwert für den bezahlten Preis. Ein oberstes Gebot ist daher die immerwährende Empfangsbereitschaft aller Angestellten. Egal wo, wann oder wie ein Gast ein Bedürfnis oder sogar ein Problem hat: Jeder Angestellte muss bereit sein, ihm unterstützend zur Seite zu stehen.


Hilfe ist tabu


Das Wort „Hilfe“ wird hier absichtlich vermieden. Schließlich impliziert es Hilflosigkeit und damit Ungleichheit beider Parteien. Und dies ist, besonders im Hinblick auf die übliche soziale Stellung jener Gäste, um jeden Preis zu vermeiden. Denn es geht, besonders dem Ritz-Carlton, ganz gezielt darum, „zu Diensten“ zu sein. Das Firmenmotto „Ladies and Gentlemen serving Ladies and Gentlemen“ fasst dies wunderbar auf gleichberechtigende Art zusammen. Denn es geht nicht darum Diener zu sein, sondern Dienste zur Verfügung zu stellen. Auch Konversation ist ein bereit gestellter Dienst, der luxuriös sein kann. Schon hier könnten sich manche Bars in Deutschland, Österreich und Schweiz große Scheiben abschneiden.

Jenes Bewusstsein für den Blickwinkel des Gastes erfordert jedoch Einfühlungsvermögen. Wird also der Wunsch des Gastes nicht als bloße Kundenanfrage gesehen, sondern als Bedürfnis jenes Individuums erkannt, ist schon ein großer Schritt des Gastgebens getan. Gerne soll bei diesen Kontakten auch der Gastname verwendet werden. Denn es verbindet beide Parteien auf einem persönlichen Level und kaum etwas hilft uns Menschen so stark, unser Gegenüber als Individuum, quasi als uns Selbst wahrzunehmen. The Peninsula nutzt sogar den Namen bei Anrufen vom Zimmer, dem Gast das Gefühl gebend, als würde am anderen Ende nur auf seinen Anruf gewartet werden.


Unterschiedliche Standards


Verschiedene Luxushotels suchen allerdings nach unterschiedlichen Ausmaßen der Gastnähe. Während das Ritz-Carlton z.B. klar den warmen, persönlichen Umgang mit der eloquenten Distanz von Ladies und Gentlemen paart, setzen Shangri-La oder auch Bulgari Ressorts auf lockereren Umgang. Besonders beim Shangri-La findet man wohl einfach eine Prise fernöstlicher Umgänglichkeit und größerer Nähe zum Gast. Dies kann jedoch auch als laxer oder sogar weniger professionell ausgelegt werden. Das The Peninsula wiederum setzt eher auf ein starkes Empfangsteam in allen Abteilungen des Hauses. So wird z.B. beim Nachmittagstee oder in den Bars der Häuser die gastgebende Funktion am ehesten von einer Art Concierge übernommen. Die eigentlichen Kellner oder Bartender unterstützen dies nur, konzentrieren sich jedoch sehr stark auf ihre eigentliche Arbeit.

Im Ritz-Carlton wiederum ist „Ermächtigung“ der Weg: Jedem Angestellten wird die Ermächtigung gegeben, dem Gast einen einzigartigen Aufenthalt zu bereiten. Dies wird in Trainings bewusst vage gehalten. Denn die Firma möchte das Mitdenken jedes Einzelnen fördern. Und sei es nun der Poolboy, der eine bestimmte Lieblingssonnencrème aus der Drogerie für den Gast kauft oder der Kellner, der mit den Kindern einen Hotelrundgang macht, damit die Eltern ein Mittagessen für sich haben: Die Angestellten werden gezielt ermutigt, sich den individuellen Gastwünschen zu stellen und deren Erfüllung noch vor ihrer Formulierung anzubieten.

Bei den gelegentlich auftretenden Problemen oder Beschwerden werden die Lösungswege dadurch extrem kurz und der Gast hat kaum Zeit, sich „hineinzusteigern“. „Erstkontakt-Problemlösung“ heißt die Zauberformel. Im Shangri-La hingegen wird Verantwortung und Befugnis sehr stark auf die obere Manager-Ebene fokussiert und Lösungen damit institutionalisiert. Was per se ja das Gegenteil der Personalisierung – des höchsten Luxus überhaupt – darstellt.

Jeden einzelnen Gast tatsächlich als den eigenen Gast wahrzunehmen, erfordert viel Kraft und eine große Umstellung. Doch bietet dieser Weg eben auch große Befriedigung für den Angestellten. Auch in unseren Bars könnte größeres Engagement am Gast und Identifikation mit selbigem die Arbeit versüßen und uns stärker erfüllen. Der Tresen soll (entgegen der ursprünglichen Bedeutung) keine Schranke sein.

Das geforderte Servicespektrum in der gehobenen Hotellerie ist so umfassend, dass das Wort „Nein“ nur bei unethischen oder nicht rechtlichen Wünschen existiert. Ansonsten erfordert jene „Ermächtigung“ eben auch große geistige Flexibilität und Bereitschaft, den extra Meter zu gehen. Denn meistens gibt es nicht nur einen Weg, eine Art der Kommunikation oder eine Lösung. Schließlich ist jeder Gast anders, aber es gibt nur eine Art, ihn zu behandeln: die Beste. Dies zu verstehen, ist die Basis für Luxus.


Gäste fürs Leben


Nicht zuletzt hat die Ritz-Carlton-Kette eine sehr große Klientel der Wiederkehrenden. Solche „Gäste fürs Leben“ zu kreieren ist aufgrund des heiß umkämpften Luxusmarktes ein Kernanspruch. So sind auch die einzelnen Häuser der Peninsula-Kette oder auch Bulgari vernetzt und wissen so um jede Vorliebe ihrer Stammgäste. Dies wiederum findet in unserer Profession die Entsprechung in Form von Gastgebern, die schon beim Eintreten des Stammgastes um seine Vorlieben und präferierte Getränke wissen.

Dies alles nun in unsere Bars zu übersetzen, ist sicherlich oft schwierig. Zeit und Geld sind mal wieder die Miesepeter. Entscheidend ist der Wunsch und die Motivation jedes Einzelnen, den Gästen einen tollen Abend zu bereiten. Denn Luxus benötigt erstklassigen Service – doch erstklassige Service muss nichts mit Luxus zu tun haben. Gleichzeitig sollten wir Bartender doch eine viel bessere Ausgangsposition haben, um dieses Gefühl von gutem Service oder gar Luxus zu kreieren. Schließlich sind wir doch alle interessiert an den vielfältigen Facetten des Lebens und kennen uns in dessen Höhen und Tiefen bestens aus. Wir sind in unserer Freizeit oft selbst scharf auf Luxus in allen Formen. „Her mit dem schönen Leben!“ ist doch schließlich unsere große Triebfeder. Wer, wenn nicht wir, sollte denn Luxus kennen  – und daher auch kreieren können?


(Offenlegung: Der Autor arbeitete für The Peninsula Tokyo und The Ritz-Carlton, Okinawa und ist eng verbunden mit Bulgari Hotels and Ressorts.)


Dieser Artikel erschien das erste Mal in der Mixology am 22.12.2013.

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