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Golden Taste Bridge - Bartour San Francisco

Im zweiten Teil meiner transamerikanischen Bartour fühle ich nun auch San Francisco auf den Zahn. Kann man sich von der Bay Area noch etwas abgucken - oder ist alles nur Hype?

…with flowers in your hair. (Scott McKenzie)

Tausende Kilometer irrten wir seit Miami Beach durch Mormonenland, wichen Hurricanes aus und staubten in alkalischen Wüsten ein. Nun endlich rollen wir über den kalifornischen Hochgebirgskamm zur Küste bergab und sehnen uns nach einem kühlen Drink und der Umarmung wohliger Baratmosphäre.

Allerdings ist unsere erste Erfahrung in San Francisco ein Zapfenstreich und wir werden pünktlich 20 vor 2 Uhr an keinen Tresen mehr gelassen. Wir vertagen also unsere erste Baretappe und bedienen uns großzügig an der letzten legalen Auslage an lokalem Craft Bier. Sierra Nevada oder Anchor wandern genau so wie Drake’s, 300 Steps oder Southern Sunrise an unseren Gaumen. Zwei Dutzend Brauereien aus San Francisco werben aromenreich um unsere Gunst.

Dabei scouten wir auch gleich einige Bars für die nächsten Tage und müssen feststellen, dass die Barszene sich für US-Amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich breit über die Stadt verteilt. Das weltberühmte Trick Dog liegt in einer eher ruhigen Wohngegend in der Nähe eines Highways, ABV mitten im Latinoquartier, Smugglers Cove an einer Durchgangsstraße gegenüber eines Sportplatzes und Pacific Cocktail Haven sowie Benjamin Cooper mitten im … nun … “durchwachsenen” Innenstadtkern mit Billigstwohnungen und Junkies.

Doch wie schon zuvor in Miami Beach soll es auch in diesem zweiten Teil um die Herausarbeitung großer Eigenschaften gehen, nicht um eine konkrete Bartour.



And the morning fog will chill the air. (Tony Bennett)

San Francisco ist einer der wichtigen Keimzellen für das Wiederaufleben der Tiki-Kultur. Besonders Smugglers Cove ist dabei zuallererst zu nennen und legt auch wirklich ein beeindruckendes Menü auf’s Parkett. Etliche Seiten informieren über Geschichtliches, Unterhaltsames und natürlich den Schatz von Rezepten. Jedoch muss schon wieder ein Abklingen dieser Tikiwelle fest gestellt werden - besonders in der Bay Area. Denn die Nachfrage nach dieser Art Drinks nimmt stark ab, Smugglers Cove ist nicht mehr ganz so überragend voll oder erfolgreich mit internationalen Bewertungen. Auch die hippen, neu eröffnenden Bars wenden sich anderen Cocktailfamilien zu.

Sehr viel lebendiger erscheinen da zum Beispiel die Herangehensweisen der jungen Bar Benjamin Cooper oder auch dem Veteranen Trick Dog. Welche beide mit überaus spannenden, meist unwirklich anmutenden Rezepten des Bargängers Stirnrunzeln provozieren. Allerdings wunderbar balancierte Geschmackskombinationen aufweisen. Trick Dog scheut sich beispielsweise nicht, Frischkäse, Fino Sherry, Gin, Absinth mit Bagels oder auch Bourbon, Rhabarber-Amaro, Fernet, Minzmarmelade und grüne Erdbeeren aufeinander los zu lassen. Gleichzeitig bewahrt es sich bis heute die Atmosphäre einer Nachbarschaftsbar mit freundlichem Personal, zugänglichem Barfood sowie regelmäßig erneuerten, überaus künstlerisch gestalteten Getränkekarten. Und bildet damit eine der unprätentiösesten Bars in den Top 50 der Welt - ohne der Tiki-Renaissance nachhaltig den Hof gemacht zu haben.

Benjamin Cooper hingegen liegt über dem Foyer eines jungen Hotels mitten in der Innenstadt. Ein versteckter Seiteneingang lässt zunächst Speakeasy-Allüren erahnen, doch ist dies wohl eher dem Platzmangel in der Innenstadt zu schulden. Denn die Türen und Arme Benjamin Coopers stehen immer weit offen. Es herrscht selbst bei wenigen Gästen ausgelassene Stimmung und die berühmte Gastfreundschaft mit einer Prise Surf und Abenteuer in den Haaren findet sich hier.

Generell finden wir den in New York populär gemachten Speakeasystil nicht so recht vor in San Francisco. Nur das klar Marketing-orientierte Bourbon & Branch macht mit teuren Kampagnen und sehr offensichtlich unabsichtlicher Außendarstellung auf sich aufmerksam. Es setzt sich aus drei separaten Bars zusammen, welche im gleichen Haus unterschiedliche Klientelen adressieren. In der von uns besuchten Bibliothek fanden wir jedoch nur uninspirierte Mitarbeiter und Menüs vor. Auch wenn wir auf den anspruchsvolleren Charakter der anderen beiden Teilbars hingewiesen wurden: Zugang erhielten wir aufgrund von Komplettreservierung leider nicht. Das teure Marketing hört also leider an der Türschwelle auf.


…On a warm San Franciscan night. (The Animals)

Dies schmerzt uns nicht und wir begeben uns sehr viel lieber in das nahe gelegene Pacific Cocktail Haven. PCH wurde vom renommierten und wohltuend bescheidenen Barveteran Kevin Diedrich eröffnet, welchen man hier auch noch immer hinter dem Tresen antrifft. In atemberaubender Geschwindigkeit werden Gäste begrüßt, bedient, der Service mit Getränken versorgt und ein Ohr für uns hat er auch noch. Selten sahen wir Bartender in Funktionskleidung und nie schien es so notwendig. Denn PCH und sein vom Pazifischen Ring inspiriertes Menü erfreuen sich scheinbar sehr großer Beliebtheit! Die familiären Einflüsse aus Japan und den Philippinen werden hier mit unterschiedlichen Techniken und Präsentationsmethoden auf die Bahn gebracht. Wir finden eine Ausrichtung sowohl an trockenen als auch tropischen oder herzhaften Drinks die sich unter anderem klar an der Japanischen Küche orientieren. So finden sich Gin, Rosé Wermut und Rosensirup mit Rettich oder Bourbon mit Shiso und Calamondinorange auf der Karte. Auch die auf Yucatan beliebte Würze Annatto wird mit Guave, Cumin, Scotch und Amontillado zu einem farbenprächtigen Highlight.

Kevin pflichtet uns bei, wie groß der Unterschied zwischen der Barkultur der Ost- und der Westküste ist. Jahrelang bei PDT, Clover Club und in Washington DC hinter dem Tresen empfand er die Ostküste als klarer Europa-orientiert, wohingegen die Westküste viel Inspiration aus Pazifisch-Asien zieht. Daher sind die Küche und deren frische, garten- und ozeannahe Geschmäcker viel stärker präsent in der von ihm als “hippie-ish” bezeichneten Barkultur. Und passen somit sehr viel besser zur (auch südamerikanisch-) pazifischen Küche als die Drinks der Ostküste, welche sich stärker an herzhaften, geschmacklich dunkleren Speisen orientieren.


Eine pazifische Barszene?

Unter dem Strich lässt sich demnach eine interessante pazifische Barszene Nordkaliforniens heraus arbeiten. Worauf auch Jeffrey Morgenthalers Publikationen hinweisen. Gabriel Daun verrät zusätzlich, dass die Szene Portlands noch näher an der Küche ist und es sich dort im Gegensatz zu San Francisco eher um an Restaurants angeschlossene Bars handelt. Was sich natürlich auch in den Drinks und deren Fokus auf Essens-Kompatibiltät widerspiegelt. Doch wird in beiden Ballungsräumen viel mit mittel- und südamerikanischen Spirituosen und pan-pazifischen Essenseinflüssen gearbeitet. Und erschafft so eine umarmende, offene und sehr erfrischende Szene mit überaus innovativen und gleichzeitig preisbewussten Menüs.


Die Artikel erschien erstmalig im Dezember 2017 in der Mixology Online.

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